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Die Tücken der Volksoper
Von Peter Bilsing
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Fotos von Matthias Stutte Mit einem langen finalen Klatschmarsch feierte das Krefelder Premieren-Publikum letztlich durchaus beglückt die Neuproduktion von Webers Freischütz vom Regieteam um Anthony Pilavachi. So etwas sagt eigentlich mehr als Worte ausdrücken können. Das Publikum war mit diesem Saisonauftakt zufrieden wie wunderbar. Sein Konzept erläutert der Regisseur im Programmheft. Er möchte einen für uns heute glaubwürdigen Zugriff finden. Es geht nicht nur um die Beziehung Mensch-Natur, sondern auch um eine Männergesellschaft, in der die Jagd als Pseudobetätigung von Männlichkeit gilt. Im Zentrum steht das Phantastische in seiner Gegeneinandersetzung von schwarzer und weißer Magie. Für Pilavachi ist diese Produktion eine Reise durch die Nacht ins Licht, Hoffnung auf eine möglichst bessere Welt. Er möchte alle diese Aspekte dreidimensional berücksichtigen und sichtbar zu machen. Donnerwetter! Max (Roman Sadnik, r.) wird von Kilian (Walter Planté) als Schlappschwanz verspottet.
Si tacuisses. Über die Divergenz zwischen Anspruch und Realisation sei hier berichtet, denn mit der sich stetig steigernden Begeisterung des Publikums (welches mir bis einschließlich der Wolfsschluchtszene noch mächtig verwirrt und verärgert erschien), verhielt es sich umgekehrt proportional beim bärbeißigen Rezensenten. Dabei wäre alles nur halb so ärgerlich gewesen, wenn die Regie nicht dem unsäglichen Modetrend verfallen wäre (siehe auch gerade stattgefundener Bonner Fidelio-Skandal!), wieder einmal Texte dazu erfinden, sprich dichten lassen zu müssen, die eigentlich völlig überflüssig sind. Nichts gegen den vorzüglichen Darsteller des Samiel, Reiner Roon, aber muss dieser (allzu deutlich an Goethes Faust angelehnte) Mephisto-Samiel nun wirklich jede Szene kommentieren ? Das nervt gewaltig. So wirkt unter anderem dann natürlich die 5.Szene völlig sinnlos, wenn Kaspar singt Ich bringe neue Opfer dir und der Teufel fragt welche?, wo er doch permanent dabei ist, alles steuert und sogar die Vorhänge (welch selten originelle Idee) von Hand schließt. Wolfsschluchtszene (von links: Kaspar/H. Deinyan, Samiel/R. Roon, Max/R. Sadnik)
Ansonsten läuft die Geschichte recht werktreu frei nach Weber ab. Unterhaltsam sind einige nette Gags, so wenn Max anfangs, nach vergeigtem Probeschuss, wie verrückt in der Gegend rumballert oder sich der Bauer Kilian bei Kaspar für eben die Freikugeln bedankt, die wohl auch er genossen hat. Bestechender Inszenierungshöhepunkt: die Wolfsschluchtszene. Pilavachi zeigt uns eine tote Stadt, in der sich alle möglichen traumatisch seelischen Abgründe auftun, die hinterher als Alptraum Agathes real entlarvt werden. Das ist schon sehr überzeugend und von origineller Darstellungskraft und üppiger Licht-Phantasie. Leider hat nach dem gelungen Jäger-Ballett das Regie-Team dann praktisch sein Pulver verschossen. Der letzte Teil ist so kurz wie langweilig. Öde, einfallslos und in neueren Inszenierungen mittlerweile anscheinend unvermeidbarer Running-Gag ist der Dialog auf dem Pissoir; hier pinkelt man direkt an den geschlossenen Bühnenvorhang das spart Kulisse und kaschiert gleichzeitig Umbauarbeiten. Was den Kritiker ärgert, belustigt allerdings das Premieren-Publikum ungemein. Auch nicht überzeugend, und zum Ende hin mehr als klischeehaft einfältig, sind die desperate housewifes als Jungfernchor und Fürst Ottokar als aufdringliche Politiker-Witzfigur. Agathes Jungmädchenzimmer (Roman Sadnik, Julia Borchert)
Riesenlob und große Annerkennung allerdings für die fabulösen Kostüme und Bühnendekorationen von Tatjana Ivschina. Sei es der herrliche deutsche Wald auf dem Riesenposter, vor dem Max sein länger trag ich nicht die Qualen... singen muss, der wunderbar gestaltet Biertisch-Bierzelt-Schießstand oder das phantastisch phantasievoll drapierte Jungmädchenzimmer von Agathe, wo pubertäre Mädchenträume in unzähligen Hirschgeweihen, Puppen und vielerlei esoterischem Gerümpel verdämmern können das sieht je nach Beleuchtung wunderbar heimelig, oder auch bedrohlich klaustrophobisch aus; selbstredend darf Großvater Weber nicht fehlen, doch der war ja schon angesichts der Wolfsschluchtszene aus dem Rahmen gekippt.
Hinreißend sind die Kostüme heutiger Landbevölkerung; mit großer Liebe zum Detail gefertigt. Geschmacklos extravagant und teuer, so wie sich heute eben Metzgergattinen beim 978. Pavarotti-Abschiedkonzert kleiden. Neben stilvollen rosa Jogginghosen zum Nerz gibt es geschmackvolle Miniröcke an dicken Waden, Dirndl und viel, viel Loden natürlich von Loden-Frey (München), aber auch die schlamperten Weiber fehlen nicht; welch köstliche Multicolor-Mixtur. Die ideale saubere Dorfgemeinschaft....eine feine Gesellschaft.
Heinz Klaus hat den Chor exzellent eingestimmt und stilvoll vorbereitet, wenngleich man den Herrschaften etwas mehr Zurückhaltung und Stimmigkeit beim an-der-Rampe-Singen empfehlen möchte; da lenkten sicherlich die zirzensischen Schirmdrehereien (welch überflüssiger Regiegag!) wohl auch etwas von den zu singenden Noten ab. Darstellerisch ist arge Skepsis angebracht, denn vieles geht nur knapp am selbstgefälligen Chargieren vorbei.... vielleicht kann man das auch der Regie anlasten. Graham Jackson hat die Niederrheinischen Sinfoniker, abgesehnen von einigen sicherlich premierenbedingten Nervositäten, gut im Griff. Sein breites, mir etwas zu schwelgerisch romantisches Musizieren passt aber zur Inszenierung die Wolfsschluchtszene könnte durchaus mehr Feuer gebrauchen. Finale (v.l Agathe/J. Borchert, Ännchen/J. Wernecke, Eremit/M. Wippich, Fürst/C. Erpenbeck)
Schöne Töne von Neuzugang Julia Borchert als Agathe. Ansonsten wird akzeptabel bis mittelprächtig gesungen, mehr leider nicht. Nun braucht ein Stadttheater eigentlich nicht mehr; das könnte sich aber durchaus schon bei der Zweitpremiere mit alternierender Besetzung ändern. Begeisterung konnte schon eher die darstellerische Präsenz von Roman Sadniks Max, Walter Plantés Kilian, Jeannette Wernecke Ännchen und Hayk Deinyans Kaspar wecken. Der schöne Bariton von Christoph Erpenbeck ging an der ihm aufoktruierten peinlichen Politikerkarikatur leider schäbig zugrunde.
Im Gegensatz zum Publikum war das für den Kritiker ein zwiespältiger Abend; nun hat man es aber auch schwer mit dem Freischütz. Des deutschen liebste Volksoper ist für einen ernsthaft arbeitenden Musiktheater-Regisseur sicherlich mehr als ein Schreckgespinst, nämlich eine echte Herausforderung. Ernsthaftigkeit kann man diesem Regieteam sicherlich nicht absprechen. Man ist halt nur an den Tücken des Werks gescheitert, oder sind es die Tücken unserer Opernwelt ? Ein immerhin doch recht unterhaltsamer Abend ist den Krefeld/Mönchengladbacher Bühnen da aber durchaus gelungen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
SolistenOttokarChristoph Erpenbeck
Kuno
Agathe
Ännchen
Kaspar
Max
Ein Eremit
Kilian
Brautjungfern
Nele van Deyk Christina Heuten Ursula Hennig
1. Jäger
2. Jäger
Samiel
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