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Der Renovator

Veröffentlicht: 04.03.2011

Den kleinen Unterschied zwischen Restauratorin und Renovator beschreibt Gotthard Arnold so: „ Wenn eine Restauratorin einen alten Stuhl restauriert, sieht er hinterher wieder schön aus, aber man darf sich nicht draufsetzten, wenn ich einen Stuhl renoviere, dann sieht er anschließend genauso aus, aber man kann sich draufsetzen". Arnold ist Renovator aus Leidenschaft. Mit Leib und Seele kümmert er sich um mechanische Musikinstrumente und bringt auch die aussichtslosesten Fälle wieder zum Klingen.

 

Die Welte-Philharmonie-Orgel

 

Zur Zeit arbeitet Arnold mit 6 Mitarbeitern an einer musikalischen Rarität: Einer Welte-Philharmonie-Orgel. Das dreimanualige Instrument mit 34 Registern ist für 10-fach Rollenwechsler ausgelegt. Das Spiel berühmter Organisten, wie Paul Mania oder Karl Straube, wurde auf Welte-Philharmonie-Rollen für die Nachwelt festgehalten. Welte-Philharmonie-Orgeln standen in der Villa Hügel der Familie Krupp in Essen, in Luxus-Hotels oder in Konzertsälen reicher Privatleute, denn laut Welte war die Orgel „ein wahrhaft ideales Hausinstrument für die besitzenden Kreise". So entschloss sich auch der spätere Besitzer der Washington Post, Eugene Meyer, Jr. zum Kauf einer Welte-Philharmonie-Orgel. Das Instrument mit der Opus-Zahl 243 wurde 1916 in Meyers Sommerhaus in Mount Kisco, New York, installiert.
Im Juni 1993 erwarb das Technik Museum Speyer die Orgel, sie soll jetzt das Glanzstück der Sammlung mechanischer Musikinstrumente im Wilhelmsbau werden und bei Führungen und Konzerten zu hören sein. Gotthard Arnold will die Welte-Philharmonie-Orgel bis Oktober komplett renoviert haben, zwei fehlende Register wird er noch auftreiben, einen fehlenden Welte-Block mit 150 Tonlöchern hat er schon kopieren lassen, Kondukten (Windrohre), Gehäuse, Prospektaufbau und andere Bestandteile müssen noch angefertigt werden, Metallpfeifen und Metallteile der Orgel sind teilweise in schlechtem Zustand und bedürfen gründlicher Renovierung. Um die Windstössigkeit der Orgel auszugleichen, arbeitet Arnold an einem eigens konstruierten Rollventil. Die Kosten für die aufwendige Renovierung trägt zum großen Teil die „Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur".

 

Flötenuhr nach Maß

 

Gerade hat Arnold ein anderes Glanzlicht für seine eigene Sammlung fertiggestellt: Eine Flötenuhr von Mathias Dufner um 1832. Vom Instrument war lediglich das Spielwerk erhalten - Gehäuse, Zifferblatt, Figuren und Bemalung ergänzte Arnold nach einer erhaltenen Flötenuhr von Dufner im Uhren-Museum in Furtwangen. Stolz präsentiert er die Uhr in Aktion: Militärmusiker, Kavalleristen, Bauern, Tod und Teufel bewegen sich im Takt zur Wilhelm-Tell-Ouvertüre von Rossini. Auf dem Zifferblatt abgebildet ist „Geßlers Tod". Die Spieluhr verfügt über zwei Bässe, einen doppelfaltigen Balg, ein 8-Tage-Uhrwerk und vier Register: Gedackt 8', Holzgambe 8', Flaute Travers 4' und Vox Humana 8'. Die Vox Humana mit durchschlagend schwebenden Doppelzungen hat Arnold selbst kreiert, sie war von Dufner nicht vorgesehen. Aber schließlich ist Arnold Orgelbaumeister und bereicherte das Klangbild der Flötenuhr mit der Vox Humana eindrucksvoll.

 

Von der Orgel zum Leierkasten

 

Gotthard Arnold war eigentlich zum Orgelbauer prädestiniert: In Sachsen geboren, studierte er Kirchenmusik in Magdeburg und erlernte den Beruf des Orgelbauers bei Eule in Bautzen. Trotzdem ist ihm vom Schicksal eine andere Berufung zuteil geworden. Schuld daran war die Kirche und ihre Orgelsachverständigen, die ihm das Leben als selbständigem Orgelbauer in Baden-Württemberg sauer machten. „Ich hätte Orgelsachverständige schmieren müssen, um Aufträge zu erhalten", bemerkt Arnold sarkastisch. So ging Baden-Württemberg ein Orgelbauer verloren und ein Renovator für historische Musikautomaten wurde geboren, als ein Drehorgelspieler bei Arnold an die Werkstattür klopfte. 1971 renovierte Arnold eine Flötenuhr im Schloß Ludwigsburg und Ministerpräsident Filbinger bemerkte: „Der Mann muss gefördert werden." Mittlerweile ist die „Mechanische Musik GmbH Arnold Pierrot" zu einer der führenden Werkstätten ihrer Art in Europa geworden. Die renovierten Instrumente, die von Arnold im Technik Museum Speyer und im Wilhelmsbau zu sehen sind, sprechen für sich. Auftragsarbeiten führten ihn nach Korea und die Vereinigten Staaten. „Wir können alles machen", sagt der Chef, „von der Elektrik über Holzarbeiten bis zum Getriebe". Wie besessen sammelt Arnold Ersatzteile und kauft Restbestände von Firmen auf: Holzschrauben, Furnierhölzer, Edelhözer, Federn, Zahnräder, Lochplatten von fast allen Herstellern sowie alte Spieldosenkämme.

 

Spiel mir das Lied vom süssen Mädel

 

Um fehlende Zähne in Spieldosen zu ersetzen, braucht Arnold Ersatzzähne aus alten Kämmen, die er heraussägt und wieder einlötet, gebrochene Federn ersetzt er durch alte Federn von Trichter-Grammophonen oder Spieldosen. Juniorchefin Helga Erbacher hat Hunderte von Lochplatten nach Herstellern und Durchmesser katalogisiert. Nur so lässt sich bestimmen, welche Lochplatten zu welcher Spieldose gehören. Natürlich steht auch in Arnolds Büro eine Kalliope-Spieldose, sie spielt „das Lied vom süssen Mädel". Eine andere Spieluhr findet auf einer Fingerkuppe Platz: Die vielleicht kleinste Spieluhr der Welt - hergestellt von Reuge in Genf - Arnold hat die Restbestände aufgekauft.

 

Im Wilhelmsbau

 

Zum Technik Museum Speyer gehört der „Wilhelmsbau", in dem auf drei Etagen die „Gute alte Zeit" wieder lebendig wird: Uniformen, Moden, Puppen, Spielzeug und Gegenstände des bürgerlichen Alltags und vor allem - mechanische Musikinstrumente. Die Arnold Pierrot GmbH hält die Musik-Automaten in spielbereitem Zustand. Die Sammlung zählt zu den größten ihrer Art in Europa und zeigt einzigartige Kostbarkeiten: Selbstspielende Geigen des Leipziger Herstellers Hupfeld, der sogenannte „Phonoliszt". 1909 präsentierte die Leipziger Firma der staunenden Musikwelt erstmalig dieses technische Wunderwerk. Drei Geigen stehen aufrecht über einem Klavier. Sie werden von einem rotierenden Kreisbogen gestrichen. Pro Geige wird nur eine Saite gestrichen, wobei 10 pneumatische Greifer die Tonhöhe verändern. Klavierbegleitung und Geigen werden von Lochstreifen gesteuert. Weitere Höhepunkt im Wilhelmsbau sind das „Chordephon" - eine mechanische Zither - ein Steinway-Welte-Vorsetzer und ein Lochmann 300 „Concert Original" Orchestrion aus dem Jahre 1901. Zwei Doppelkämme mit 160 Zähnen, 12 Glocken und Schlaginstrumente werden von einer überdimensionalen Lochscheibe gesteuert. Im berauschend vollen Klang des Polyphons spiegelt sich der Glanz der Kaiserzeit. Museums-Besucher können den Klang der mechanischen Musikinstrumente live erleben (bei vorangemeldeten Führungen) oder über Lautsprecher hören.

 

Führungen durch den Wilhelmsbau nach Voranmeldung beim Technik Museum Speyer, Tel. 06232/67080


(04.03.2011)